Fleischhalle
Ehemaliges Schlachthaus von Bamberg
Am Kranen 1 und 3
1742-1903 Schlachthaus und Fleischbank, bis 1950 Fleischverkaufshalle
jetzt: Teilbibliothek der Universität Bamberg
Das Chronogramm ist fehlerhaft!
Fleischhalle oder Altes Schlachthaus Bamberg
Das ehemalige Schlachthaus der Stadt Bamberg mit Fleischverkaufshalle liegt am Kranen und dient heute der Universität als Teilgebäude. Die Ansicht von Süden zeigt einen fünfachsigen Giebel, dessen mittlere Achse ein flaches Risalit bildet. Zwischen dem Portal und einer Nische mit einer Ochsenfigur befinden sich zwei lateinische Inschriften:
a) ein Epigramm (oben)
b) ein Chronogramm (darunter)
Ochse an der Fleischhalle
Von Johann Adam Nickel 1741/1742 gefertigter Ochse an der Südfassade des alten Schlachthauses, darunter das Epigramm und das Chronogramm.
Das Epigramm nimmt launig auf die Skulptur des ausgewachsenen Rindes Bezug und bedauert dieses, da es nicht wie ein lebendes Rind die Chance hatte, die Verwandlung vom Kalb zum Rind zu erleben:
Epigramm am Alten Schlachthaus Bamberg
BOS PRIUS AC VITULUS PRIMAEVO NATUS AB ORTU,  
NASCENDI SOLITUM TRANSGREDIENDO MODUM.
ARTIFICIS MANUS, ILLA FUIT PERFUNCTA PARENTIS
MUNERE, NON VITULUM, SED PARIENDO BOVEM.
Wörtliche Übersetzung:  
Ein Rind wurde geboren, ohne zuvor Kalb zu sein,
indem es die übliche Art der Geburt übertrat.
Die Hand eines Künstlers, sie hat vollbracht die Aufgabe
der Mutter, indem sie nicht ein Kalb schuf, sondern ein Rind. [1]
Auch der Dichter (?) hinterließ in den Spiegeln der benachbarten Fenster eine gereimte Übersetzung:
links:
rechts:
Sogleich ein Ochß und nicht -
vorher ein Kalb zu seyn
Ist gegen die Natur,
Doch trifft es bey mir ein.
Da mich des Künstlers Hand
zum Ochßsen hat gemacht,
Ehe Ich in Kälber-stand
Von der Natur gebracht.
Das Chronogramm   ist einfach zu lesen, jedoch nicht ebenso einfach zu übersetzen:
Chronogramm am Alten Schlachthaus Bamberg
SVB HVIATIS FABRICAE EXTRA=ORDINARAE IMPENSIS EXSTRVCTA
Aus dem Chronogramm ergibt sich die Jahreszahl 1741:
(5 + 6 + 1 + 101 + 10 + 501 + 1001 + 1 + 10 + 105 = 1741)
Zur Ableitung: s. Chronogramm am Haus zum Lindwurm
Eva Maria-Bottler berichtet, wie das Chronogramm nach einer Korrektur zu übersetzen ist:
Im Frühjahr 2003 machte die Klasse 9 b zusammen mit Frau Glück-Schmidt und Herrn Först einen Unterrichtsgang zum alten Schlachthaus am Kranen. Vor Ort sollten sich die Schüler mit folgendem Problem befassen: Das Chronogramm ließ sich wegen einer grammatikalischen Ungereimtheit, die sich vermutlich im Laufe der Jahre bei einer Restaurierung eingeschlichen hat, nicht übersetzen. Herr Sedlmeir, der Rätselspezialist unter unseren Lateinlehrern, mutmaßte, aus grammatikalischen und linguistischen Gründen müsste es "EXTRAORDINARIE" und nicht "EXTRAORDINARAE" heißen. Wie groß war unsere Überraschung, als wir in der Auri fodina ("Goldgrube") des Johann Sebastian Schramm (1728-1790) exakt die postulierte Schreibweise fanden!   

Das Chronogramm las sich demnach am Ende des 18. Jahrhunderts so:
SVB HVIATIS FABRICAE EXTRA=ORDINARIE IMPENSIS EXSTRVCTA

Somit war das grammatikalische Problem gelöst und der Text übersetzbar:
[Das Gebäude] der hiesigen Werkhalle ist unter außerordentlichen Kosten errichtet worden. (1742)
Die Inschrift ist aber auch ein Chronogramm, d.h. die Buchstaben I, V, X, L, C, D, M entsprechen römischen Ziffern (I = 1, V = 5, usw.). Aus der heutigen Fassung am Schlachthaus ergibt sich - wie oben gezeigt - das Erbauungsjahr 1741. Da der Text von Schramm aber ein I mehr enthält, kann das Haus erst 1742 fertiggestellt worden sein. Die Anmerkungen Schramms unter den penibel abgezeichneten Inschriften des ehemaligen Schlachthauses bestätigen diese Schlussfolgerung:   "Dieser ochs so von stein gehauen ist ueber der thür des neuen schlachthaus mit dieser unterschrift zu sehen. dieses schlachthaus ist sonsten mitten auf der holtzernen undern Brucken gestanden und 1742 von neuem erbauet worden. Der baumeister war her beyerschoder und mauermeister herr meyer. anno 1742 seind die metzger mit paucken und Trompetten in das neue schlachthaus mit groster solennität eingezogen, den 18 Junij ingleichen. Anno 1695 wurde das alte auf der Brucken gestandtene Schlachthaus mit dermaligen neuen fleischbanck quondam das schuhe haus erbauet." [2]
Hier bestätigt sich   in ähnlicher Weise wie am Haus zum Goldenen Wappen, dass man mit Restaurierungsarbeiten häufig so lange wartet, bis man sie (ohne Vorlage) nicht mehr fehlerfrei rekonstruieren kann. [3]
(c) 2002
Ergänzungen: 5/2003 (Eva-Maria Bottler, 9b)

Oben und links: Schüler der 9b (2002/2003) des Kaiser-Heinrich-Gymnasiums  studieren das Chronogramm an der alten Fleischhalle.




Dr. Werner Taegert   von der Staatsbibliothek Bamberg zeigte uns, dass obiger Übersetzungsvorschlag auch nicht richtig ist - man muss eben wissen, dass es früher in Bamberg eine fabrica extraordinaria, ein Extrabauamt, gegeben hat! Dr. Taegert schreibt:
Die Staatsbibliothek verwahrt ein historisches Foto, das den Zustand der Fassade des Gebäudes noch vor den stark verändernden Restaurierungen zeigt. Dokumentiert ist dort auch der originale Wortlaut des Chronostichons:
SVB HVIATIS FABRICÆ EXTRA=ORDINARIÆ IMPENSIS EXSTRVCTA

Die Inschrift wurde durch den Austausch von Steinen in der Mittelzone und die nachfolgende unsachkundige Beschriftung entstellt. Der abweichende Verlauf der ursprünglichen Steinfugen läßt sich nach dem alten Foto gut vergleichen.
Die (sprachlich einzig mögliche) Endung des fraglichen Adjektivs ist "extraordinariae". Die Urkundlichkeit der Aurifodina ist - wie gelegentlich anderweitig  - auch in diesem Falle nicht ungetrübt: Die dortige Wiedergabe "extraordinarie" ist ebenso fehlerhaft, wie in den Epigrammen der vorgebliche Wortlaut "ab ortus" und "pefuncta". Die in mittelalterlichen Handschriften gebräuchliche Schreibung des Diphthongs "-ae-" als "-e-" scheidet auch wegen der diphthongierten Schreibung von "fabricae" aus. In jedem Fall bestätigt sich das Fertigstellungsjahr: "1742".
Die "fabrica extraordinaria" bezeichnet das (tatsächlich so benannte) "Extrabauamt", dem im städtischen Bauwesen Bambergs eine - nach Aufgabenzuständigkeit und Finanzierung - "besondere" Rolle zukam. In Archivalien des Bamberger Extrabauamts lassen sich auch für den Schlachthof die einschlägigen Angaben entnehmen.
In den Lexika nicht zu finden ist das Adjektiv huiuas (Gen.: huiatis), "hiesig", das im 17. und 18. Jahrhundert durchaus gängig war, insbesondere in genealogischen und chronikalischen Texten (dabei vor allem in Kirchenbüchern).
Gebildet ist es nach Vorbildern wie cuias im klassischen Latein. Vgl. hierzu Ps.-Augustinus, Ars pro fratrum mediocritate breviata 3,24: "Cuias pronomen infinitum personae indefinitae possessivum gentile generis omnis numeri singularis figurae simplicis casus nominativi quod declinabitur sic cuias cuiatis cuiati cuiatem et cuias neutrum a cuiate et pluraliter cuiates et cuiatia cuiatium cuiatibus cuiates et cuiatia a cuiatibus."
Ich würde die Zeile etwa folgendermaßen übersetzen:
"Auf Kosten des hiesigen Extrabauamts errichtet." [1742]
Sprachlich liegen auch bei dieser Zeile Anklänge an eines der überlieferten Epigramme zu dem Nürnberger "Modell" vor.
Hier gleich noch mein Vorschlag zu den begleitenden Epigrammen:  
Der Ochse trat, ohne zuvor Kalb zu sein, sogleich mit Beginn seines Daseins dergestalt ins Leben
und setzte sich dabei über eine Geburt gewöhnlicher Art hinweg.
Des Künstlers Hand (, sie) vollbrachte die Aufgabe der Mutter,
indem sie Leben schenkte, nicht einem Kalb, sondern - einem Ochsen.
(c) 6/2003 Dr. Werner Taegert
Anmerkung:
[1]  
Der  Ochse, der durch Künstlerhand das Stadium des Kalbs auslässt, animierte auch beim Nürnberger Fleischhaus die Erbauer zu einer entsprechenden Bemerkung.
[2]  
SCHRAMM, J. S.: Auri fodina, Nr. 373. - Das Zitat enthüllt, dass um 1740 die Untere Brücke am Alten Rathaus zum Teil noch aus Holz bestand. Das dort befindliche Schlachthaus musste wohl dem repräsentativen Neubau in Stein weichen. Der Bau wurde 1739 ausgeführt und im folgenden Jahrzehnt mit sechs überlebensgroßen Steinfiguren ausgestattet, von denen heute nur noch die Statue der hl. Kunigunde erhalten ist. Auch am neuen Standort suchte die Fleischhalle engen Kontakt zur Regnitz, so dass Schlachtabfälle leicht ins Wasser entsorgt werden konnten.
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[3]  
BREUER/GUTBIER (s. u.) vermerken als Erbauungsjahr der Fleischhalle 1741/1742, geben für das (nicht übersetzte) Chronogramm jedoch die aktuell ableitbare Jahreszahl 1741 an.
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Quellen:
BREUER, T. u. GUTBIER, R.: Die Kunstdenkmäler von Oberfranken, Stadt Bamberg, Innere Inselstadt. 2 Halbbände. Bamberg: Bayer. Verlagsanstalt, 1990; S. 327-330.
SCHRAMM, J. S.: Auri fodina Bambergensis erudita ubique et profundissima et abstrusissima atque ideo ex toto fere latens hinc inde tamen per rimas ostensa et in superficie abrasa ejusque fragmenta pro auri eruditi avidis collecta a me Joanne Sebastiano Schramm p[ro] t[empore] Rectore chori ad B: M: V: ab anno 1772 die 20t. Novembris usque ad Annum … ([nachgetragener Sterbevermerk:] 1790 die 14t. Octobris aet[atis] s[uae] 61 An[norum]. +).
(Abschrift des 19. Jahrhunderts, Standort: Staatsbibliothek Bamberg, Signatur: MvO.Msc.9).
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